Sonntag, 23. Oktober 2011

Mit der Leichtigkeit einer Libelle

Ganz klar. Vergangenen Dienstagabend erlebte Daniel van Buyten, der belgische Verteidiger-Hüne des FC Bayern, eine Sternstunde. In der Champions League gastierte der Rekordmeister beim einstigen Maradona-Klub SSC Neapel. Es sind mittlerweile zwei Jahrzehnte vergangen, dass der unterhalb des Vesuvs für heilig verehrte Maradona den stolzen Neapolitaner Erleuchtung gebracht hat. Doch selbst heute ist Diego in Napoli noch immer allgegenwärtig.

Findige Journalisten fassten daher Bayerns Libero-Legende Klaus Augenthaler für ein Interview sozusagen ins Auge. Man sollte hierzu wissen: Augenthaler stand beim letzten Bayern-Abstecher im April’89 in Napoli seinen Mann gegen Diegos Dribblings. Dennoch zogen die Bayern dort im UEFA-Pokal-Halbfinale den Kürzeren. Und good old Klaus Augenthaler berichtete nun 20 Jahre später vielsagend davon: „Ich erinnere mich noch genau an sein Aufwärmen in Neapel. Während sich die Mannschaft im Kollektiv aufgewärmt hat, hat er mit seiner Tochter im Arm versucht, den Ball in einen Basketballkorb reinzulegen.“

Augenthalers Retrospektive in Ehren, nach Bayerns erneutem Napoli-Absteher redete keiner mehr von Maradona. Die Bayern hatten im Schmelztiegel San Paolo dominiert, spielten mit 1:1 remis, wobei Gomez trotz oder wegen eines neapolitanischen Laserpointers den siegbringenden Elfmeter verschoss. Nach alledem huldigten die italienischen Gazetten vor allem diesem Koloss Daniel van Buyten und überschlugen sich geradezu.

Tuttosport notierte, van Buyten sei stets am richtigen Platz gewesen. Ob seiner leichtfüßigen, ja fast schwebenden, Darbietung im Zweikampf mit Napolis Angreifern besang der Corriere dello Sport den Belgier regelrecht: „Zu den besten Bayern-Spielern zählte van Buyten: Er ist ein Gigant mit der Leichtigkeit einer Libelle“.

Ich gebe zu, ich hab diesen van Buyten bisher für einen arttypischen Stopper gehalten und die besungene Leichtigkeit noch nicht als Qualitätsprädikat erkannt. Van Buyten, ein Stopper mit „Rammbockqualitäten“. Ein standhafter und taktisch versierter Stopper mit dem zuweilen schwerfälligen Schwung einer Lokomotive. Dieser van Buyten, der Sohn eines Catchers, hätte gewiss auch in dem Hollywood-Streifen „Gladiator“ mit Schild und Schwert in den Pranken eine gute Figur abgegeben. Zum Beispiel, indem er neben Hauptdarsteller Russell Crowe angreifende Tiger und Bären im Kolosseum in die Flucht schlägt.

Zudem erinnerte mich der Anblick van Buytens oft an den früheren schottischen Stopper Colin Hendry, ein Hüne desselben Schlages. Neben seiner Statur war Hendry schon allein wegen seiner semmelblonden Haarpracht auffällig, die einen Kontrast zum dunkelblauen schottischen Dress bildete. Für sein Heimatland machte Hendry in den Neunzigern zumeist die Schotten dicht. Nur einmal geriet dieser Abwehrturm vor meinen Augen ins Wanken.

Das war bei der Europameisterschaft 1996. Damals musste Schottland im entscheidenden Vorrundenspiel gegen die verhassten englischen Gastgeber unbedingt gewinnen.Doch dazu kam es nicht, da ein gewisser Paul Gascoigne an diesem sonnigen Tag im Juni '96 in Wembley sein wohl berühmtestes Tor erzielte.

„Gazza“ jonglierte bei einem englischen Konter den Ball über den orientierungslosen Hendry hinweg, überlief Hendry und wuchtete nach diesem Solo den Ball ins schottische Netz. Es war Englands Siegtreffer und zugleich Schottlands Turnier-Aus. Dass dieser Daniel van Buyten in seiner Zeit bei den Bayern regelmäßig ins Wanken gerät oder geraten ist, war wohl meine Querverbindung zu diesem Colin Hendry.

Da mir aber fehlbare Stopper ihres Schlages durchaus sympathisch sind, werde ich beim künftigen Anblick van Buytens nicht mehr an diesen Hendry denken. Ich werde nur noch diese eine Schlagzeile für die Ewigkeit im Sinn haben, in der ihn der Corriere dello Sport als den Protagonisten einer neapolitanischen Nacht im Oktober 2011 besingt: „Ein Gigant mit der Leichtigkeit einer Libelle“.

Dienstag, 11. Oktober 2011

Belgischer König

Was macht eigentlich Jean-Marie Pfaff? Na, wer kennt ihn noch? Zwischen 1982 und 1988 hütete die schillernde belgische Torsteher-Legende mit den blonden Locken die Pfosten des FC Bayern. Eigentlich befindet sich Pfaff im Ruhestand, hat diesen aber heute Abend unterbrochen.
Warum? Neben Torwart-Titan Oliver Kahn und ZDF-Lady Müller-Hohenstein analysiert JMP die geneigten ZDF-Zuschauer die heutige finale Partie seiner Belgier in der EM-Quali gegen Jogis Löwen. Dies soll nun Grund genug sein, elf Anekdoten aus dem bewegten Leben dieses belgischen Königs, respektive Torwartkönigs, hervorzukramen.

Wenn Béla Réthy heute Abend fürs Zwote schon nicht kommentiert, muss zumindest der LIBERO für die Fakten..ääh..Hommage an diesen charismatischen belgischen König sorgen...

1. Unvergessen ist sicherlich Pfaffs Einstand im Tor des FC Bayern. An jenem 21. August 1982, ließ sich Pfaff bei seiner Bundesliga-Premiere durch Uwe Reinders das legendäre Einwurf-Tor ins Netz legen.

2. Nach seinem Wechsel vom SK Beveren nach München sollte sich Pfaff auch musikalisch in Bayern einfügen. Nicht ganz so wortkarg wie der holde Gerd Müller in dessen Kracher „Dann macht es Bumm!“ lieferte Pfaff im stilechten Marschmusik-Takt den Gassenhauer: „Ich war ein Belgier und jetzt bin ich ein Bayer. Ich trinke Bier und esse Leberkäs mit Eiern. Und jeden Samstag stehe ich vor meinem Tor und kein Stürmer macht dem Jean-Marie was vor…“

3. Die sechs folgenden Jahre konnten da fast nur prächtig verlaufen. Und wie kicker-Almanache bestätigen werden, Pfaff kann immerhin auf drei deutsche Meisterschaften und zwei Pokalsiege zurückblicken, die er mit dem FC Bayern feierte.

4. Neben musikalischen Abstechern ließ sich Pfaff auch kleinere Stippvisiten auf die Mattscheibe nicht nehmen. Beispielsweise mit einem Gastauftritt in dem schier in der Versenkung der Archive der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verschwundenem Streifen „Zärtliche Chaoten“. Übrigens an der Seite von Thomas Gottschalk oder der amerikanischen Mundorgel Michael Winslow.

5. Etwas mehr als eine Stippvisite war 2007 die verzichtbare Daily Soap „De Pfaffs“. Mit dieser wandelten Pfaff und seine Familie auf den Spuren Ozzy Osbournes und öffneten den interessierten Betrachtern Tür und Tor zu der Familienranch nahe Antwerpen. Pfaff behielt es sich vor, dereinst in einem Stern-Interview die Soap als „sterbenslangweilig“ zu etikettieren.

6. 20 Jahre zuvor waren solche Seifenopern selbst dem stets umtriebigen Pfaff noch fremd. Vielmehr durfte er sich 1987 als sein annus mirablis ins Jahrbuch schreiben. Schließlich wurde „de Pfaff“ anno 87 zum „weltbesten Torwart“ gekürt.

7. Weltweite Anerkennung hatte sich Pfaff zuvor unter anderem in zahllosen Europapokalspielen und als belgischer Torsteher bei jeweils zwei Weltmeister- und Europameisterschaften verdient. 1980 wurde Pfaff mit Belgien Vizeeuropameister und 1986 WM-Dritter.

8. Pfaff war übrigens jener Torwart, gegen den sich Horst Hrubesch mit seinem Doppelpack im EM-Endspiel von 1980 sozusagen auf seine eigene Art unsterblich machte.

9. Das alles entging offenbar auch nicht einem gewissen Pelé, der mit seiner strengen Feder Pfaffs Namen auf seine Liste der 125 besten lebenden Fußballer notierte.

10. Notieren ließ sich Pfaff außerdem für kurze Zeit in das Mitgliedsregister vom (ehemaligen Stasiklub) BFC Dynamo Berlin. Diese wenig ruhmreiche Episode sollte Pfaff im Nachhinein aber als missratene PR-Aktion abhaken.

11. Eine fundamentale Wahrheit über den  Lockenkopf mit der Kirmes-Attitüde soll zum Schluß keinem Leser vorenthalten werden: dieser Pfaff ist keine Nähmaschine…

[Ebenfalls in dem Fußball-Blog Thor Waterschei erschienen.]

Samstag, 8. Oktober 2011

The unsung hero

Als ich jüngst auf einer Barkasse durch den Hamburger Hafen schipperte, platschte mir plötzlich kaltes Elbwasser ins Gesicht. Ich hatte mich auf die „Backboard“-Seite gesetzt und bereute diesen Entschluss. So etwas muss ich halt nicht allzu oft haben. Aber gut, wie ergeht es da erst Menschen, die anderen Menschen gerne „nur der HSV“ zurufen und sich fast jeden Samstag kalt erwischt fühlen. Denn ihr HSV ist Bundesligaschlusslicht, hat nach Spieltag 8 so viele Punkte wie Bremen Stadtmusikanten und taumelt nach dem schlechtesten Saisonstart in 49 Jahren Bundesliga der zweiten Liga entgegen.

Kein Wunder, dass an der Elbe zurzeit viele Untergangsszenarien aufbranden. Einmal bleibt etwa die Bundesliga-Uhr des Liga-Dinos an Spieltag 34 um Punkt 17.15 Uhr stehen. Daneben liegen sich auf der Ehrentribüne „Uns Uwe“ und die Helden der Happel-Ära wie die Wölfe heulend in den Armen. Wahrlich zum Schaudern!

Der neue HSV-Sportchef Frank Arnesen tauschte darum kürzlich seinen ratlosen Übungsleiter Michael Oenning gegen den trainerlizenzlosen Interimscoach Cardoso aus. Und seitdem dreht dieser Arnesen, der sich so gern Talente seines Ex-Klubs Chelsea angelt, munter das Trainer-Karussell. Seine unglückliche Suche nach dem nächsten Ernst Happel kommentierte die taz gewohnt bissig mit dem Titel „Marko Morten van Stevens Hrubesch“. Denn Arnesens Favorit Morten Olsen bleibt wohl in Dänemark, Marco van Basten ebenso wie Louis van Gaal in Holland und ein gewisser Huub Stevens faselt mittlerweile Treueschwüre wie „einmal Schalke, immer Schalke“ in die Mikrofone.

Horst Hrubesch, HSV-Idol und DFB-Jugendcoach, ist zwar für viele HSVer vorstellbar und hat in Uwe Seeler gar einen profunden Fürsprecher. „Uns Uwe“ meint, das Kopfballungeheuer himself könne dem HSV „Seele und Geist“ zurückbringen. Nur schwirrt Hrubeschs Name offenbar nicht in Arnesens Kopf umher, was sich im Übrigen auch von Kevin Keegan sagen lässt. Keegans Name erklang bisher noch überhaupt nicht, was ihn gewissermaßen zum unbesungenen Helden dieses Trainertheaters macht.

Das alles, obwohl Ende der 70er in Hamburg „Keeganmania“ herrschte. Noch heute schwelgen Zeitzeugen, wie dieser „unsung hero“ ihnen damals mit wallender brauner Mähne Freudentränen in die Augen dribbelte, sie Keegan „Mighty Mouse“ nannten und er mit dem One-Hit-Wonder „Head over heals in love“ den passenden Soundtrack dazu trällerte.


Gewiss, Arnesen wird seine Gründe für Keegans Nichtbeachtung haben. Ist es mangelnde Chelsea-Vergangenheit? Oder witterte Arnesen bei Keegan etwa eine apokalyptische Aura? Eine Aura, die aus Englands epochaler Pleite im allerletzten Spiel im alten Wembley-Stadion gegen Deutschland erwuchs? Ob Arnesen unkte, Keegan als damaliger Nationaltrainer Englands könne daher erster HSV-Trainer werden, der mit dem Bundesliga-Dino absteigt? Wohl nur Arnesen, laut Günter Netzer der einzige im HSV-Laden mit Ahnung vom Fußball, wird die Wahrheit kennen.


Menschen, die anderen „nur der HSV“ zurufen, werden es unter diesen Vorzeichen sicher verkraften, dass an der Elbe zunächst keine neue „Keeganmania“ aufziehen wird. Schließlich gehört der HSV in die Bundesliga wie der Hafen zu Hamburg. Oder etwa nicht?