Donnerstag, 29. Dezember 2011

Uns Berti

Was macht eigentlich, Berti Vogts? Berti Vogts posiert mit versonnenem Blick in grünem Jersey und grünen Shorts an einem Strand. Die Wellen wogen im Hintergrund. Das Bild wirkt, und es wirkt paradox. Berti Vogts, ob seiner Bissigkeit „Terrier“ gerufen, steht tatsächlich leicht verloren am  Strand der Copacapabana, dem Strand der Ballzauberer do Brazil.

Was ich beschreibe, ist das Titelbild eines biographischen Bildbandes aus den Siebzigern, der seinen Namen trägt. Unglaublich aber wahr. Ob es wohl viele Kicker mit eigenen Bildbänden gibt? Vielleicht David Beckham, Eric Cantona oder gar Pelé ? Ich weiß es nicht.


Jedenfalls fiel mir der angestaubte Schinken nun wieder in die Hände. Sozusagen pünktlich zu Bertis  morgigen 65. Geburtstag, der für andere den formellen Eintritt in die Rentenalter markiert. Die Glückwünsche und mehr oder minder wohlwollende Abrisse aus Bertis Vita werden durch den Medienwald rauschen. Doch lassen wir ihn einfach gebührend hochleben: Ehre, wem Ehre gebührt! Berti, als kleiner, eisener Rechtsverteidiger eher Antagonist des eleganten Stils seiner Gladbacher Borussia , galoppierte mit den „Fohlen“ zu fast allen Titeln, die sich in den wilden Siebzigern gewinnen ließen: fünf Meisterschaften, einem Pokalsieg, zwei Siegen im UEFA-Cup und wurde gar zweimal Fußballer des Jahres.

In seiner Paraderolle des zuverlässigen Kämpfers avancierte Berti im erfolgreichen 74er WM-Endspiel zu einem der Schlüsselspieler, indem er dort den großen Johan Cruyff für fast 90 Minuten an die Leine legte. Oder wie der englische Guardian später lobte, Deutschland habe das Mittel gegen Cruyff gefunden: Berti Vogts. Dazu war er 1972 und 1996 Europameister. Beim EM-Titel anno 96 war Berti Bundestrainer, den sein „Eigengewächs“ Olli Bierhoff per „Golden Goal“ ermöglicht hatte. Es war übrigens der letzte Titel, den ein Bundestrainer geholt hat.


Die ZEIT schrieb Ende der Siebziger einmal über Vogts: „Vom Typ her einem Uwe Seeler ähnlich: dieselbe Energie, dieselbe Willenskraft, dieselbe vorbildliche Berufsauffassung.“ In ein ähnliches Horn blies Hans Blickensdörfer, Autor des genannten Bildbandes, und traf den richtigen Ton, was Vogts Rolle angeht: „Im Vergleich mit Beckenbauer ist er eigentlich ein Antistar und käme sich im Smoking neben Franz wie ein Pinguin vor.“

Was bleibt? Eine bisweilen absurde öffentliche Wahrnehmung, als wäre Berti in der Loddar-Ecke zu Hause. Wir erinnern uns alle an die vielen Verballhornungen, denen sich der „Terrier“ wie weiland den Dribblings von Cruyff & Co. stellen musste. Ja, und wir schmunzelten vor allem in seiner Zeit als Bundes-Berti über steife Reaktionen, seltsame Interviews, mokante Schlagzeilen und krude TV-Auftritte. Ja und wir werden uns gleich auf die Schenkel klopfen, wenn wir die feine Ironie empfinden, die es hat, dass ausgerechnet Bertis langjähriger Gefährte Rainer Bonhof einst ein biographisches Büchlein mit dem sagenhaften Titel „ So habe ich mich durchgebissen“ veröffentlicht hat.

Nichtsdestotrotz der bodenständige Berti ist ein „Terrier“ , beißt sich durch und geht seinen Weg - notgedrungen als Weltenbummler in Kuwait, in Schottland oder Nigeria. Raus aus der Loddar-Ecke. Mittlerweile ist er im fernen Aserbertischan Aserbaidschan gelandet und scheint auf seine Art angekommen. Nicht irgendwo, sondern in seiner neuen und alten Paraderolle als Entwicklungshelfer, Nachwuchsförderer gepaart mit seinen uweseelerhaften, urdeutschen Eigenschaften.

Mal sehen, ob sich bis zu seiner Rente noch einer seiner größten Wünsche erfüllt. Demnach will Berti im Mutterland des Fußballs zumindest einmal einen Klub trainiert haben. Und eigentlich kann es - gemäß dem Highlander-Motto - dort nur einen geben. Das drittklassige nordenglische Traditionsklübchen Huddersfield Town, das auf den Spitznamen „The Terriers“ hört. Ob dies ein später Wink des Fußball-Gottes ist?

Schließlich ereignete sich im Fußball-Mutterland Bertis wohl schönster Augenblick als Trainer. Denn besagten 96er EM-Triumph feierte Berti, indem er sich in Wembley vor den deutschen Fans in der Kurve und damit auch symbolisch vor den Fans vor den Bildschirmen mit minutenlanger ausgelassener Laola verneigte. Es ist bis heute übrigens einer der wenigen magischen Momente, die ich gemeinsam mit good old Berti verlebte. Er wirkte nicht wie ein Pinguin, sondern wie einer von uns. Er war kein Geringerer als „Uns Berti“… 

Montag, 19. Dezember 2011

Ein Werder-Wimpel und ein Hauch von Real Madrid

Steht eine Runde oder eine Auslosung im DFB-Pokal an, muss ich unweigerlich meinen grünen Wimpel von Werder Bremen anschauen. Auch wenn dies bei mir eher zwiespältige Gefühle auslöst. Warum? Seitdem ich den Wimpel nach Werders letztem Sieg im DFB-Pokal erwarb, gewann Werder kein einziges DFB-Pokalspiel mehr. Da mir der Wimpel aber dennoch lieb geworden ist, weigere ich mich standhaft, ihn deshalb leichtfertig zu entsorgen.

In seinem Schmöker „Fever Pitch“ berichtet Arsenals Edelfan Nick Hornby, wie er in jugendlichen Jahren versuchte, Arsenal zu Siegen zu treiben. Seinem Aberglauben ergeben legte er etwa an Pokal-Spieltagen eine bestimmte Scheibe der Punkrock-Fahrensmänner Buzzcocks auf seinen Plattenteller und diese laut drehte auf.



Doch glaubt mir, Hornbys Buzzcocks-Prinzip zieht bei Werder nicht. Mal sehen, da muss ich dieses kleine Pokal-Trauma Wohl oder Übel anders angehen. Vielleicht gewinnt Werder dann im Pokal endlich wieder, also im nächsten Sommer in der 1. Runde. Anders angehen würde ich es, indem ich schlicht und einfach von Werders letztem Pokalsieg im Sommer 2010 erzähle. Gesagt, getan:
Als geschlagener Pokalfinalist - die Bayern hatten Werder im 2010er Pokalendspiel  mit 4:0 böse überfahren-  führte Werder das Los der 1. Pokalrunde zu Rot-Weiss Ahlen. An diesem sonnigen 14. August  2010 hieß also Werse- statt Weserstadion.

Rot-Weiss Ahlen? Stimmt, da war was. Denn, seinen Namen trägt der „RWA“ noch nicht lang. Erst seitdem sich Ahlens einstiger Mäzen aus dem Kosmetik-Kosmos samt seiner bizarren Namenskreation „Leichtathletik Rasensport“, kurz LR, verabschiedet hat. Wer aber meint, am Klub aus dem pferdeaffinen Münsterland seien daher die modernen Errungenschaften der Fußball-Kultur vorbeigaloppiert, irrt sich.

Dieser Pokalsamstag in Ahlen bewies nachhaltig die Existenz von mehr als einer Handvoll Menschen, die in rot-weiße „RWA“-Souvenirs gehüllt das Wersestadion bevölkerten. So wie etwa auf Ahlens Gegentribüne, auf der die „Werse-Wikinger“ Flagge zeigten. Sehen lassen konnte sich auch Ahlens schmucke Südtribüne. Dort, auf dem Grenzzaun zum Spielfeld, thronte ein eifriger Einpeitscher. Per Megaphon feuerte er den unerwartet stimmgewaltigen Fanblock des „RWA“ an und gab als „Zaunkönig“ den Ton an.

Das Ende vom Lied? Trotz Aufbietung sämtlicher Schlachtrufe aus dem „RWA“-Repertoire, blieben Ahlens damalige Drittliga-Kicker harmlos und die erhoffte Sensation aus. Letztlich gurkte sich Werder zu einem glanzlosen 4:0-Sieg, sorgte im Nachhinein betrachtet aber zumindest in einem Moment für „königlichen“ Glanz.

Dieser Moment ereignete sich in Spielminute 61. In dieser spazierte ein gewisser Mesut Özil in seiner allerletzten Szene für Werder vom Feld. Kurz nach dem Spiel wurde Özils Wechsel zu Real Madrid bekannt, natürlich von einigem medialen Tamtam begleitet. Wenn man so will, lag an diesem Pokalsamstag in Minute 61 ausgerechnet im beschaulichen Ahlen ein Hauch von Real Madrid in der warmen Sommerluft.

Ansonsten sehnte Thomas Schaafs müde Herde den Abpfiff förmlich herbei. Damit stand Werder Ahlens Einpeitscher im Übrigen in nichts nach, der seinen Thron auf dem Zaun bereits verlassen hatte und Bier trinkend einen frühen Feierabend genoss. Ich machte dagegen erst nach dem Abpfiff „Feierabend“, nachdem ich besagten Werder-Wimpel bei einem fliegenden Händler rund um das Wersestadion erworben hatte.





Dieser Tage werde ich meinen Werder-Wimpel übrigens wieder anschauen. Richtig: es ist dann wieder DFB-Pokal. Der Hauch von Real Madrid ist natürlich längst verflogen...


Dieser Artikel ist inspiriert von Stadionchecks Beitragsreihe über Fußball-Memorabila und nun ein Teil davon.  

Sonntag, 11. Dezember 2011

Black Wednesday

Was sich am letzten Mittwoch in Basel abspielte, könnte so mancher als eine Art „Götterdämmerung“ empfinden. Der kleine FC Basel in den roten-blauen Farben Barcelonas triumphierte in seinem heimeligen St. Jakob-Park über das große Manchester United nicht einfach nur so mit 2:0.

Das große Manchester United schied dadurch zugleich in der Gruppenphase der Champions League aus. Manche empfinden dies als sensationell, Mancunians werden dies als sang- und klanglos empfinden. Es scheint, als habe auch die Königsklasse ihre eigenen Gesetze. Für den Serienmeister aus der Schweiz ist dies einer der größten Erfolge ever. Die Basler Zeitung posaunte die gefühlte „Ekstase“ in die Fußball-Welt hinaus. Das eidgenössische Boulevard-Blatt Blick rief das „Wunder von Basel“ aus.

Die britische Presse hingegen ging wenig zimperlich mit dem gefallenen Giganten aus Manchester um, das demnächst nun in der als zweitklassig gefühlten Europa League antreten darf. Die Manchester Evening News und die BBC riefen daher einstimmig den „Black Wednesday“ aus. Der Daily Telegraph sprach nach dem „Fall der Mächtigen“ von einer „Erniedrigung“, die Sun vom „Desaster von Basel“.

Selbst biestiger Uniteds Altvorderer Roy Keane packte noch einmal die Grätsche aus, die mediale versteht sich, und  knurrte als Experte des TV-Senders ITV 1 in sein Mikrofon:„ Sie haben erhalten, was sie verdient haben.“ Uniteds Franzose Patrice Evra stöhnte: „Es ist peinlich, in der Europa League spielen zu müssen.“

Der Kopf von Sir Alex Ferguson soll jedenfalls nach der Schmach von Basel sogar eine ähnlich rote Farbe angenommen haben wie der United-Dress, den Giggs, Rooney und Co. ansonsten erfolgreich über Europas und Britanniens Fußballfelder tragen. Von wütenden Schuhwürfen wie einst gegen einen gewissen David Beckham ist indes bislang nichts bekannt. Vielmehr diktierte der Schotte Sätze in die Notizblöcke der Journalisten wie: „Die Europa League ist jetzt die Strafe, die wir verdient haben.“

Ob es Ferguson himself oder so manchen United-Supporter tröstet, dass Uniteds hochgejazzter Lokalrivale City am Mittwoch ebenfalls aus der Königsklasse flog?  Erst neulich war Ferguson anlässlich seines 25. Dienstjubiläums in Old Trafford die besonders Ehre widerfahren, dass der Klub den North Stand nach ihm, in „The Sir Alex Ferguson Stand“, benannte. 1986 (!) war Ferguson vom FC Aberdeen nach Manchester gekommen, hält dort seitdem das Zepter fest in Händen und gewann mit United bekanntlich fast alles, was es als Vereinstrainer zu gewinnen gibt. Für den Sommer 2012 soll dazu aufgrund seiner vielen Verdienste eine Statue des Schotten vor dem Stadion errichtet werden.

Ferguson wäre damit nach dem legendären Sir Matt Busby der einzige United-Coach, dem der Klub ein Denkmal setzen würde. Zu schade also, dass der Schotte ausgerechnet nun mit United in die Europa League „absteigen“ muss. Doch wer meint, Fergusons Thron werde deshalb wackeln, wird lange warten müssen. Wann der 70-jährige Trainer-König Manchesters sein Zepter abzugeben gedenkt, steht noch in den Sternen.

Greifbarer dürfte die Erkenntnis sein, dass die Europa League oder früher der UEFA Cup der einzige Europapokal-Wettbewerb ist, den Ferguson persönlich und auch Man United noch nicht gewonnen haben. Es würde daher mit dem Teufel zugehen, wenn sich Ferguson den 9. Mai 2012, den Termin des Endspiels in Bukarest, nicht bereits jetzt rot in seinem Kalender eingetragen hätte. Vielleicht könnte ein Endspieltriumph gegen Lokalrivale City am Abend dieses 9. Mai 2012 die Wunde jenes „Black Wednesday“ aus dem Dezember 2011 zumindest ein wenig heilen.

Vielleicht würde ein solcher Finalsieg auch den gebührenden feierlichen Rahmen schaffen, wenn dieser Sir Alexander Chapman Ferguson kurz danach sein Denkmal erhält. Vielleicht wird es ihm dann auch überaus gleichgültig sein, dass die Errichtung seines Denkmals für die City-Fans nur aus einem einzigen Grund erfreulich sein dürfte. Angeblich versprechen sie sich von seinem Denkmal nicht mehr als eine Tauben-Toilette de luxe ...