André Zechbauer ist seit der Saison 1976/77
Anhänger des FC Bayern München und seit 1987 Bayern-Mitglied. Nach
Jahrzehnten auf Fußballtribünen im In- und Ausland, beobachtet er die
Geschehnisse rund um den Rekordmeister mittlerweile durch die Fernglasperspektive. Und das macht er seit mehr als vier Jahren kritisch und pointiert in seinem Blog »Fernglas FCB«.
Wie der FC Bayern-Experte den bisherigen Saisonverlauf seines
Lieblingsklubs einschätzt oder was er etwa von dem Duo Jupp Heynckes/Matthias
Sammer oder Javi Martinez hält? Der Libero hat nachgefragt und der FCB-Blogger stand Rede
und Antwort…
1. André, die
erste Frage ist wohl unvermeidlich. Das „Finale dahoam“ ist nun einige Monate
her. Ist es Dir eigentlich mittlerweile gelungen, es zu verdauen? Und war es Dein schlimmstes Erlebnis als
Bayern-Fan?
Ich
habe während des Spiels natürlich viel geflucht, diverse Ur-Schreie in die
Nachbarschaft gebrüllt und ab der Halbzeitpause durchgehend gestanden, aber
erstaunlicherweise hatte ich die Niederlage relativ schnell verarbeitet. Schon
einen Tag später habe ich das Ganze ziemlich nüchtern analysieren können. So
bitter es ist, aber in diesen Spielen zählt: Keine Fehler machen und die Fehler
der anderen Mannschaft gnadenlos ausnutzen zu können. Das war 1975 so, als wir –
schmeichelhaft ausgedrückt - „sehr effektiv“ Leeds United schlugen; das war
1987 in Wien und 1999 in Barcelona so – und so war es eben auch in München im
vergangenen Mai.
Mich
hat vor dem Spiel schon gestört, dass kaum jemand von Chelsea sprach, sondern
nur vom „Finale dahoam“ – die Fokussierung auf Chelseas Stärken fehlte mir in
der öffentlichen Wahrnehmung.
Meiner
Meinung nach hatte Jupp Heynckes, so sehr ich ihn schätze, großen Anteil an der
Niederlage. Vor einem solchen Spiel musst du Elfmeter trainieren – und sei es
nur für die Psyche. Außerdem müssen die Schützen festgelegt, nein – in Stein
gemeißelt, sein. So ein Abwehrfehler wie vor dem Ausgleichstreffer Drogbas darf
nicht passieren, wenn Du gut auf den Gegner vorbereitet bist. Schon gar nicht
zwei Minuten vor Ende der Partie. Das alles hat nicht gestimmt und wäre durch
exzellente Vorbereitung zu verhindern gewesen. So gewinnt man dann eben auch
kein Finale in der Champions League. Wer weiß das besser, als wir Bayern?!
Mein
schlimmstes Fußball-Erlebnis war das Finale 1999 gegen Manchester United – und
das wird es wohl auch bleiben. Zum einen weil ich damals im Stadion war, zum
anderen weil ich bis zu diesem Spiel schon zwei Jahrzehnte auf einen Titelgewinn
in der Königsklasse hin gefiebert und die Schmach von Wien im Jahr 1987 im
Prater-Stadion miterlebt hatte.
2. Die aktuelle
Saison läuft für die Bayern bisher überaus glänzend, der Name Deines Blogs
steht wieder symbolisch für den Abstand zu den Verfolgern. Was meinst Du, was
springt am Ende der Saison für die Bayern heraus und welche Rolle spielt dabei
Borussia Dortmund?
Am
Ende sind wir Meister und hoffentlich auch Pokalsieger. Die Champions League
ist die große Unbekannte, aber ich hoffe in London 2013 dabei sein zu können.
Natürlich
ist Borussia Dortmund aufgrund des Spielerpotenzials und der Spielweise neben
Bayern das Top-Team der Liga, auch wenn Schalke seit Beginn der letzten Saison
enorm konstant auf hohem Niveau spielt. Der Unterschied zum letzten Spieljahr
ist aber, dass nicht wir sondern die Dortmunder hin und wieder schwächeln.
Schalke hat einfach das Pech ausgerechnet in ihrer stärksten Phase zwei
bärenstarke Konkurrenten erwischt zu haben. Am Ende hoffe ich nur, dass sich
die deutschen Teams nicht in der Champions League begegnen – das ist immer
undankbar für alle Beteiligten. Ein Selbstläufer wird allerdings auch diese
Meisterschaftssaison nicht.
3. Maßgeblich am
erfolgreichen Saisonverlauf beteiligt ist Cheftrainer Jupp Heynckes. Wie beurteilst
Du seine Zukunft an der Säbener Straße und die Zusammenarbeit mit Matthias
Sammer?
Im
Moment läuft alles großartig und dann sind alle Seiten immer gerne bereit,
Verträge zu verlängern. Bayern braucht aber eine langfristige Alternative zu
Heynckes, aufgrund seines Alters. Ich habe nichts gegen zwei weitere Jahre mit
ihm, aber nach ihm sehe ich nur Top-Leute wie Mourinho oder meinen Favorit Pep
Guardiola. Beide passen exzellent zum FC Bayern. Klopp, Fink, Babbel, Tuchel
oder auch Slomka sehe ich da einfach nicht.
Was
das Duo Sammer-Heynckes angeht, wird viel geschrieben und hinein interpretiert.
Ich will nicht rumfloskeln, aber wichtig ist doch nur dass alle am gleichen
Strang ziehen, weil alle das Gleiche wollen. Matthias Sammer ist mit seiner Einstellung
und Akribie beim FCB genau richtig.
4. Heynckes Vorgänger,
der heutige Bondscoach, Louis van Gaal sorgte zuletzt mit seinen Aussagen über
die vermeintliche Allmacht von Uli Hoeneß für einige Kontroversen. Welche Sicht
der Dinge hast Du?
Van
Gaal ist in sein Spiegelbild verliebt, so wie Narziss – nur war Narziss
vermutlich schöner als Louis van Gaal. Wenn jemand unbelehrbar und wenig
kritikfähig ist, wird es mit der Bayern-Führung und gerade mit Uli Hoeneß
schwierig. Hoeneß hat sich damals für die Mannschaft und gegen van Gaal
entschieden. Etwas anderes konnte er auch gar nicht tun. Natürlich ist Hoeneß
aufgrund seiner Leistungen für den Verein auf eine gewisse Weise allmächtig,
aber van Gaal war eben nur Trainer –
da muss man sich auch unterordnen können und kompromissbereit sein. Ich bin
kein Freund von solchen Nachtretereien über die Medien, aber van Gaal ist in
seinem Stolz verletzt – da waren seine jetzigen Aussagen durchaus zu erwarten. Schade,
wir hatten auch viel Spaß mit ihm.
5. Lass uns über
kostspielige „Premiumtransfers“ sprechen.
Javi Martinez ließen sich die Münchner bekanntlich gute 40 Millionen
Euro kosten. Wie bewertest Du den Transfer und den bisherige Rolle des Basken
bei den Bayern?
Ich
betrachte den Transfer nicht nur über die Ablösesumme – der Spielertyp Martínez
ist für den Verein extrem wichtig. Er hat angedeutet, was er alles kann – und
ich fand das sehr beeindruckend. Seine Zeit wird noch kommen, aber man muss
schon genau hinsehen um seine Qualität einordnen zu können: Nerven- und
Zweikampfstärke, Ballbehauptung, Raumgefühl – und er kann fantastische Pässe
schlagen. Die Qualitätsdichte im defensiven Mittelfeld ist mit ihm besser
geworden, das zwingt Gustavo und auch Schweinsteiger zu Top-Leistungen.
Ganz
abgesehen davon glaube ich, dass der Transfer auch eine „politische“ Bedeutung
hatte. „Sehr her, wir Bayern können da auch mithalten und müssen nicht mal
Schulden machen“ – das ist eine Zäsur zu bisherigen Transferperioden. Es zeigt
den anderen Top-Klubs und Top-Spielern: Bayern ist endgültig ganz oben
angekommen. Sportlich und wirtschaftlich gibt es da ohnehin keinen Zweifel
mehr.
6. Im Rückblick auf
Deine ganzen Jahre als Bayern-Daumendrücker: welcher ist für Dich eigentlich der
beste Transfer, den der FC Bayern bzw. Uli Hoeneß je getätigt hat?
Der
beste Transfer war der von Karlheinz Rummenigge zu Inter Mailand. Das hat den
Verein damals gerettet und die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Hinzu
kommen natürlich Transfers wie die von Matthäus, Elber, Pizarro – die allesamt
äußerst lohnend waren.
7. Zum Schluss bitte
ich Dich um ein paar Worte zum „Geburtstagskind“ Bundesliga, die sich in ihrer
Jubiläumssaison befindet. Welches war für Dich das schönste Erlebnis mit ihr und
wer ist Dein ewiger Bundesliga-Held?
Das
schönste Liga-Erlebnis für mich war die Meisterschaft 1986.Vor 74.000
Zuschauern ein 6:0-Sieg gegen Gladbach am letzten Spieltag - und im Stadion hat
den Kantersieg niemanden interessiert, weil wir nur auf die Anzeigentafel
schielten, wie es denn in Stuttgart steht. Bremen verlor und wir hatten es
tatsächlich noch geschafft, Das war fantastisch!
Das
last-minute-Tor von Andersson in Hamburg 2001 habe ich selbst nicht miterleben
können, da ich zu der Zeit in Irland studierte. Wäre ich in Hamburg dabei
gewesen, wäre das sicher mein Favorit geworden.
Mit
Fußball-Helden ist das so eine Sache. Persönlich mochte ich besonders Mehmet
Scholl und Bixente Lizarazu – als Kind war es Rummenigge. Aber diese Drei
stehen jetzt auch nicht gerade exemplarisch für Heldentaten. Ich habe keinen
wirklichen Helden im Fußball.
Vielen
Dank für das Interview!