Michael Horeni, einer der Biografen Jürgen Klinsmanns, hat passend zur
Euro 2012 sein Buch zu den Brüdern Boateng veröffentlicht. Und der geneigte Leser wird
sehen, es sind nicht zwei, sondern drei Boatengs. Die berechtigte Frage, wieso
der faz-Sportredakteur über Fußballer , die nicht einmal ein
Vierteljahrhundert alt sind, ein biografisches Werk verfasst hat, beantwortet
der Klappentext.
„Drei Brüder, zwei Mütter, ein
Vater, ein Ziel: Fußballprofi werden. Das Buch erzählt vom Aufwachsen in zwei grundverschiedenen
Stadtteilen, von Unterstützung und Vernachlässigung in Familie, Schule und
Fußballverein, vom Aufstieg im Proffußball bis hin zu den Spitzenklubs – und
von Integration und Ausgrenzung.“Wer sich einen Starschnitt in Buchform im Sinne eines trashigen „Bang Boom Boateng“ erhofft hat, der dürfte bei dieser biografischen Sozialreportage enttäuscht sein. Horeni zeichnet die Karrierelinien des streitbaren „Bad Boys“ Kevin-Prince und des strebsameren Jérôme kritisch und doch einfühlsam nach und blickt dabei zurück auf die unterschiedliche Herkunft der gebürtigen Berliner. Wie sagt Jérôme selbst: „Kevin hatte es viel schwerer als ich. In Wedding aufzuwachsen ist anders als in Wilmersdorf.“
Dazu bringt Horeni auch den „unsichtbaren Dritten“ Boateng namens George ins Spiel. George war trotz reichlich Talent auf schiefe Bahnen geraten und schaffte es nicht zum Fußballprofi. Kevin-Prince, der nicht an dem Buch mitwirkte, hat ebenfalls einen steinigen Weg hinter sich und beim AC Mailand und als Nationalspieler Ghanas, dem Heimatland des gemeinsamen Vaters, allmählich sein Glück gefunden. Jérôme ist bei Bayern München ganz oben angekommen, steht wie zuletzt beim deutschen EM-Auftakt gegen Portugal meist in Jogi Löws Startelf.
Selbstredend arbeitet sich Horeni an Kevins unvergesslichem Foul an Michael Ballack im englischen Pokalfinale und den nachfolgenden medialen Eruptionen ab, nach denen Kevin vor der WM 2010 so etwas wie der „Staatsfeind Nr. 1“ wurde. Horeni schlägt sich weder auf Kevins Seite oder stellt ihn erneut an den Pranger. Horeni ordnet das Foul und seine Folgen ein, wie z. B. die Boulevardblätter den völlig unbeteiligte Jerome seinerzeit in Sippenhaft nahmen, und eröffnet im Sozialarbeitersound einen differenzierten Blick auf die Geschehnisse.
Unumgänglich war offenbar der allseits bekannte Umstand, dass die Boatengs Großneffen Helmut Rahns sind, obwohl der „Boss“ in den Karrieren der Boatengs keine Rolle spielt. Wie sagt Kevin selbst so oder so ähnlich: „Mit dem hatten wir doch nie etwas zu tun“. Wohltuender ist hingegen Horenis Plädoyer für die „Deutsche Internationalmannschaft“, die er als Sinnbild gelungener Integration von jungen Migranten hervorhebt.
Die finale, durchaus ketzerische Frage wird sich indes kaum beantworten lassen. Wird Kevin-Prince „Die Brüder Boateng“ selbst einmal lesen oder wäre ihm ein „Bang Boom Boateng“-Starschnitt nicht doch lieber gewesen? Es würde sich lohnen.
Das Buch (272 Seiten) ist im Tropen-Verlag (ISBN-10: 3608503080) erschienen.
1 Kommentar:
Selten so eine treffende Buchrezension gelesen. Sehr gut und lesenswert. Glückwunsch
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