Themenwoche „50 Jahre Bundesliga“, Teil 4. Blogger Heinz Kamke widmet sich in seinem Beitrag eher nachrangig „seinem“ VfB Stuttgart. Eine größere Rolle spielt die intensivste Zeit seiner Beziehung zur Bundesliga, moralische Zeigefingererhebungen in kicker-Sonderheften gegenüber „Geschäftsleuten in kurzen Hosen“ und warum einst Reiner Wirsching für ihn so etwas wie die letzte Hoffnung war.
Im Sommer 1983 veröffentlichte der Kicker ein Sonderheft mit dem Titel "20 Jahre Bundesliga". Was für mich als Spätgeborenen einerseits ein hilfreiches Kompendium sein sollte und auch war, führte mich andererseits erstmals auch etwas tiefer in die Schattenseiten des Profifußballs ein. So hatte ich den Begriff "Bundesligaskandal" bis dahin zwar immer wieder gehört und wusste im Wesentlichen, dass Schalke und ein Mann namens Canellas damit zu tun gehabt hatten; tiefer reichte weder meine Kenntnis noch mein Wissensdurst. Die Vergangenheit, noch dazu die dunkle, hatte mich als Steppke nicht allzu sehr interessiert – genauso wenig wie 1978 jene dunkle Gegenwart, die bei meiner ersten WM als Sechsjähriger “Militärjunta” gelautet hatte.
Mit Blick auf die Bundesliga kam Kicker-Chefredakteur Heimann vordergründig zu dem Schluss, sie habe sich in ihren 20 Jahren "trotz Turbulenzen und Problemen" bewährt. Liest man indes den einen oder anderen Absatz seines Leitartikels, darf man sich durchaus fragen – zumindest nehme ich mir die Freiheit –, wie es dazu kommen konnte, dass diese Liga noch immer besteht und gar nicht so wenige Menschen in ihren Bann zieht:
"Heute sind die 90 Minuten Spiel am Samstag nur noch Nachhall eines wahren journalistischen "Trommelfeuers" der vorangegangenen sechs Tage. Daß "auch noch" Fußball gespielt wurde, ist für viele lediglich noch der statistischen Vollständigkeit halber erwähnenswert. [...]
[...]
Die Kluft zwischen denen, die mit dem Fußball und durch ihn in kurzer Zeit zu
Großverdienern werden und jenen, die als Zuschauer in erster Linie dieses Geld
aufbringen, wird immer größer. Der Fußball gerät in Gefahr, seine
Anziehungskraft als Volkssport zu verlieren."
Und
natürlich hatte man auch den passenden Ratschlag zur Hand:
"Nicht
zur Schickeria darf es den Fußball drängen, sondern wieder mehr hin zu den
Millionen Menschen, die mit Freuden sofort zurück in die Stadien strömen, wenn
sie dort erleben können, was sie suchen: Spaß am Fußball als Spiel, Aufregung,
Unterhaltung, Spannung, Abwechslung – eben Freude."
Spiel,
Spaß, Spannung, Freude – da bin ich schon ein wenig hin- und hergerissen
zwischen dem Impuls, dem geschätzten Herrn Heimann ungeachtet seiner arg
getragenen Formulierung ein zustimmendes "Gegen den modernen
Fußball!" zuzurufen (davon ausgehend, dass er es an irgendeinem
jenseitigen Ort – unaufgeregt an einem Scheinwerfer drehend, um einen klaren
Blick auf die Bundesliga zu haben – hören würde), und meiner festen
Überzeugung, dass es Unsinn ist, gegen den modernen Fußball zu sein. Was auch
schon Erich Ribbeck und sein Libero 2000 einsehen mussten, aber das ist ein
anderes Thema.
Während
die Liga nun in ihre fünfzigste Saison geht, beginnt für mich erst die
fünfunddreißigste Spielzeit. Nach dem Kölner Double ging's los, ohne Kausalität.
Die Bundesliga hat mich seither stets begleitet, und ich sie, zumeist eng und
treu. Dass ihre Anziehungskraft gelegentlich variierte, mag zum Teil an ihr
gelegen haben, zum Teil an den Resultaten, zum Teil an mir selbst. Mal
verfolgte ich sie verbissen, mal spielerisch bis vermeintlich entspannt, in
seltenen Fällen ein wenig angewidert und immer wieder auch frustriert.
Oh,
das klingt jetzt gar nicht so positiv, irgendwie. Vielleicht habe ich mich doch
etwas zu sehr am gedruckten Leitmedium orientiert, das sich immer mal wieder
kritisch mit dem ganz Grundsätzlichen befasste. So bereits im ältesten mir zur
Verfügung stehenden Bundesliga-Sonderheft 1969/70, das sich in lesenswertem Ton
und unter fleißiger Verwendung des Halbgeviertstrichs mit den allfälligen
Begleiterscheinungen des Profifußballs befasst:
"Es
ist längst kein Geheimnis mehr, daß am Feuer der Begeisterung für das runde
Leder gar viele ihr Süppchen kochen. [...]
Bei
Bundesligaschlagern wird – nach der privaten Rechnung von Fachleuten – jeweils
gut eine Million DM umgesetzt.
[...]
Die Stände mit Bier, großen und kleinen Würstchen, Süßigkeiten und Souvenirs
sind dann umlagert, als gäbe es etwas geschenkt. Dabei muß der Stadionbesucher,
der seine Kehle ölen will, für eine Flasche Bier mindestens den stolzen Preis
von einer Mark berappen; dabei kostet ein Stück Stoff am Stiel – Fahne genannt
– sechs bis sieben DM.
An
den Souvenirständen gibt es beinah nichts, was es nicht gibt – und alles zu
gesalzenen Preisen.
Übermäßiger
Bierkonsum nimmt dabei einem Teil der Käufer den Blick für die richtige
Preisrelation. Dennoch gehen selbst teuer entstandene Fahnen ab und zu in
Flammen auf."
Im
gleichen Heft wird übrigens der damalige Braunschweiger Trainer Helmut
Johannsen mit einer visionären Aussage zitiert: "Aber auch der Libero
wird nicht die letzte Lösung sein. Er wird – so meine ich –
"aufgelöst", indem je nach Erfordernis etwa ein Verteidiger die
Aufgabe übernimmt. Schon aus dem Überraschungsmoment heraus müssen neue
taktische Varianten gefunden werden." Erich Ribbeck war zu jener Zeit
Trainer von Eintracht Frankfurt.
Aber
ich wollte nicht von Taktik reden, sondern über Inhalte des Kicker. Der sich
auch in den Folgejahren gerne mal am Finanziellem rieb, so im Sonderheft 78/79
mit dem Text "Das Geld verdirbt die Jungen", in dem der vom 1.
FC Köln soeben verpflichtete Bernd Schuster das Schlagwort der "Großverdiener
ohne Leistungsnachweis" illustrieren durfte. "Ein schlimmes
Kapitel", übrigens.
1982
befasste sich Rainer Kalb ebenfalls mit dem lieben Geld sowie mit einem "Vorurteil
an Stammtischen: Die Profis vernachlässigen ihren Beruf" und deckte
auf: "Der schlimme Punkt ist nämlich der: Unsere Nationalspieler kennen
den Wert des Geldes nicht mehr, denn nur in seltenen Fällen müssen sie den
"echten" Preis bezahlen."
Beispiele
gab es reichlich, von den 15 % Rabatt, die VfB-Spieler beim Kauf eines
Neuwagens aus Stuttgarter Produktion erhielten, bis hin zum vereinsübergreifend
agierenden Egon Rascher, "der Goldschmuck herstellt. Kumpel von allen,
mit allen per Du, gewährt er den Stars Rabatte von fast 80 Prozent, um so die
anderen Vereinsspieler zu ködern, die wenigstens eine Goldkette wie die
Nationalspieler haben wollen, wenn sie schon nicht Nationalspieler sind."
Angesichts
solcher Zustände und der Selbstvermarktung einzelner Bundesligaspieler, legte
der Kicker, nicht zuletzt im Angesicht der Breitner'schen Rasur, den Finger in
die nachweltmeisterschaftliche Wunde: "Es gibt Geschäftsleute, die
spielen Fußball nur noch, um weiter Geschäfte machen zu können. Manchmal fragt
man sich, ob sie beim Spielen noch Freude empfinden, Spaß." Da war sie
also wieder, die Freude. Oder eben nicht.
Immerhin:
"Aber die Geschäftsleute in kurzen Hosen bilden dennoch die
Minderheit."
Dann
jedoch: "Doch leider bestimmen ausgerechnet sie das Bild der Branche.
Denn sie sind verteufelt gute Fußballer. Auch wenn sie sechs Tage im Jahr
weniger trainieren als Hinz und Kunz oder Lothar Woelk."
Zum
besseren Verständnis habe ich einen Auszug aus jenem Heft (S. 31) beigefügt:
Genug
der Sonderhefte. Deren wichtigstes fehlt nämlich. Ist verloren gegangen. Oder
zumindest vorübergehend verschütt. Es steht auch nicht Kicker drauf, sondern
BP. Genau, die Mineralölgesellschaft. Die hat in den 70ern und 80ern einige
Jahre lang ein Heftchen im A5-Format herausgegeben, das inhaltlich nicht in
Ansätzen mit denen des Kicker oder mit modernen Zeitschriften zu vergleichen
ist. Aber es war mein erstes eigenes, das von 79/80.
Die
Saison 78/79 war, ich sagte es bereits, die erste gewesen, die ich recht
regelmäßig verfolgt hatte – ganz besonders, nachdem ich in der Winterpause eine
Wette gegen einen Freund meines Vaters eingegangen war. Er hatte auf den HSV
gesetzt, ich auf Kaiserslautern, das in jener Saison bis zum 27. Spieltag
nahezu durchgehend an der Spitze stehen sollte, dann aber vom VfB, damals noch
ein Verein unter vielen, und schließlich vom späteren Meister aus Hamburg
abgefangen wurde.So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren, ich musste mich also besser informieren. Natürlich in Papas Sonderheften unterschiedlicher Provenienz, aber eben auch und nicht zuletzt im eigenen BP-Heftchen, das mich durch die Saison begleitete und mir lange Jahre lang immer wieder an dieser oder jener Ecke des Hauses in die Finger kam. Mit Keegan auf dem Titelbild. Inklusive BP-Logo auf der Brust, klar.
Und jetzt ist es weg. Vermutlich beim Umzug meiner Eltern verschwunden, vielleicht auch, ich kann das nicht mit Sicherheit ausschließen, einem momentanen nostalgiekritischen Ordnungswahn meinerseits zum Opfer gefallen.
Kurz
dachte ich über einen Nachkauf im Online-Antiquariat nach, etwas länger
darüber, mal bei meiner Tante anzufragen, ob sie aus ihrer Zeit als
Tankstellenbesitzerin noch ein paar Heftchen im Archiv liegen habe. Sie hatte
mir damals ein paar Hefte für meine Freunde mitgegeben, deren Väter weder Kicker-Abonnenten
noch an fünf Tagen pro Woche auf irgendeinem Fußballplatz anzutreffen waren,
sodass ihr fußballerisches Fundament zunächst nicht allzu solide und der einen
oder anderen familiären Erschütterung unterworfen war.
Gleichwohl
entstanden auch bei ihnen erste Liebeleien mit einzelnen Vereinen, die bei den
meisten von uns zwischen familiärer Tradition (zunächst) und Distinktion
(später) schwankten und zum Teil nicht nur eine gewisse Langlebigkeit
erreichten, sondern auch mit der notwendigen Klarheit im Urteil einher gingen.
So war mein Freund Matze Krause rasch bei der Hand, als es darum ging, jenes
Foulspiel an Ewald Lienen zu verteufeln und eine drakonische Strafe zu fordern.
Mit dem zunächst übersehenen (man hatte die Informationsflut in jungen Jahren
noch nicht so im Griff) Umstand konfrontiert, dass der Übeltäter ein Bremer
gewesen war, schwenkte er sogleich auf eine deutlich moderatere Linie ein, verzichtete
aber darauf, ob Siegmanns erhaltener gelben Karte eine Protestnote an den DFB
zu formulieren.Von besonderer Relevanz waren, wem sage ich das, die statistischen Daten der Spieler. Wer war besonders groß, schwer, klein, alt, leicht oder eben, und darauf legten wir unser Hauptaugenmerk, jung? Schließlich wollten wir wissen, wie viele Jahre wir noch zu trainieren hatten, ehe wir selbst in einem Profikader auftauchen würden – gerne nahm mein Vater diese berufliche Perspektive immer mal wieder zum Anlass, bereits in jungen Jahren die kolportierte Alkohol- und Nikotinabstinenz der Nachwuchsstars zur Conditio sine qua non einer erfolgreichen Sportlerlaufbahn zu erheben. Der Schlucksee war mir zu jener Zeit ebenso wenig ein Begriff wie Preben Elkjær Larsen.
Während
in den ersten Jahren die neuen Namen zwar nicht an uns vorüber rauschten, aber
eben doch neue Namen waren, von denen man den einen oder anderen im Lauf der
Saison wieder hörte, war die Situation nach den Juniorentiteln unter Dietrich
Weise und einer gewissen medialen Präsenz eine andere: plötzlich tauchten im
Bundesliga-Sonderheft junge Spieler auf, die wir schon kannten. Deren Erfolge
wir live am Fernseher miterlebt hatten. Thomas Herbst stand nach seinem Wechsel
von der Hertha (der anderen!) nach München im Kader des FC Bayern, Zorc und
Loose beim BVB, Vollborn bei Uerdingen oder Leverkusen, so genau unterschied
man da ja nicht, auch Wohlfarth, Waas, Falkenmayer oder Brunner standen am
Beginn durchaus beeindruckender Karrieren. Der VfB war leider nicht vertreten,
war aber bestimmt schon mit dem Scouting von Michael Nushöhr und Leo Bunk
beschäftigt.
Wie
gesagt: wir sahen uns vor allem die jungen Spieler an und wünschten ihnen
Einsätze – im Grunde würden sie uns ja den Weg bereiten. In meiner Sonderheftpremierensaison
79/80 zählten zu den wenigen erst 1961 geborenen Jonny Otten und Thomas Schaaf
bei Werder sowie Lothar Matthäus, 60er wie Littbarski und Immel waren bereits
etabliert. In den Folgejahren stieg der Grenzjahrgang über 1962 (Günther Schäfer,
Mathy) und die 63er wie Waas und Loose bis zur Jubiläumssaison 82/83 mit den
64ern Hochstätter, Frontzeck, und Kamps aus Gladbach sowie mit den kleinen
Brüdern Abramczik und Rummenigge
Wir
wurden älter, die Schule wurde wichtiger, rückblickend frage ich mich, ob nicht
die Jahre von 1979 bis 1983 die intensivste Zeit meiner Beziehung zur
Bundesliga waren, oder zumindest die, deren Einzelereignisse – unter
Berücksichtigung der damaligen Informationsmenge und -geschwindigkeit – am
stärksten im Gedächtnis haften blieben. So wie Øklands
4:0 gegen die Bayern, wie Siegmanns Foul und in ganz anderem, erschütterndem
Kontext, Adrian Maleika. Für mich als Kind der Provinz, das damals noch kein
Bundesligastadion von innen gesehen hatte, war das Thema Fankultur und insbesondere
die aufkommende Gewaltdebatte eine sehr ferne, kaum zu (be-)greifende. Genau
wie mir Hass und Gewalt im (tatsächlichen oder vermeintlichen) Fußballkontext
auch heute völlig fern und kaum zu begreifen sind, übrigens.
Was wollte ich sagen? Genau: Wir wurden älter, die Schule
wichtiger, und mit den Jahren reifte die Erkenntnis, dass es wohl eng werden
würde. Die Schmäler-Zwillinge waren bei ihrem Auftauchen im Sonderheft nur
wenige Jahre älter als ich, der ich, weit von oberen Ligen entfernt, in der
örtlichen B-Jugend kickte, und so wird es wohl auch Ausdruck eines gewissen
Selbstschutzes gewesen sein, dass die Geburtsjahrgänge der nachrückenden
Spieler von stetig abnehmendem Interesse waren. Kurz flackerte die Hoffnung
dann doch noch einmal auf, und sie hieß Reiner Wirsching. Mit 25 hatte er noch
in der bayerischen Bezirksliga gespielt, um dann binnen eines halben Jahres
über die dritte in die erste Liga aufzusteigen und dort für Furore zu sorgen.
Leider
bin ich mittlerweile über 25, leider ist auch diese Chance vertan.
Stehen im Kicker-Sonderheft eigentlich auch die Geburtsdaten der Zeugwarte?
Heinz Kamke spielt ansonsten den stets sprachlich eleganten Doppelpass mit sich selbst in seinem wunderbaren Blog angedacht, der nicht nur für Menschen überaus lesenswert ist, die dem VfB Stuttgart die Daumen drücken.
Stehen im Kicker-Sonderheft eigentlich auch die Geburtsdaten der Zeugwarte?
Heinz Kamke spielt ansonsten den stets sprachlich eleganten Doppelpass mit sich selbst in seinem wunderbaren Blog angedacht, der nicht nur für Menschen überaus lesenswert ist, die dem VfB Stuttgart die Daumen drücken.
2 Kommentare:
Ein Gewinn für jede Themenwoche!
Faszinierend, dass du auch am meisten auf das Alter der Spieler in den Sonderheften geachtet hast. Ging mir nämlich auch immer so. Dank dir hab' ich jetzt auch einen Interpretationsansatz: Wahrscheinlich war der Wunsch, es selbst zu packen, doch größer als ich dachte. Ich schau' aber heute noch auf neue Jahrgänge. 95er sind mittlerweile dabei... ich geb's auf.
Aber Du bist doch noch nicht mal im Wirschingalter!
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