Montag, 27. August 2012

Weichgespielt

Themenwoche „50 Jahre Bundesliga“, Teil 3. Kuschelweich ist die erfolgreichste Weichspülermarke Deutschlands, deren Marktanteil hat sich innerhalb kürzester Zeit mehr als verdreifacht. Ähnlich rasante Steigerungsraten hat die Spezies Kuschelweich wohl auch in der Bundesliga zu verzeichnen. Wie sonst ist es zu erklären, dass BVB-Ikone und Lautsprecher Sammer als Messias an der Säbener Straße gefeiert wird, Fußballdeutschland nach echten Typen schreit und „Chefchen“-Diskussionen über Monate die Gazetten dominieren?  Autor Udo M. bereichert die Themenwoche mit einem „weiteren überflüssigen Beitrag in der emotionalen Debatte um fehlende Häuptlinge und die Sehnsucht nach Alphatieren“.

Blicken wir zurück auf 50 Jahre Bundesliga, dann gilt es nicht lange zu überlegen  – schnell kommen die großen Spieler in den Sinn, die starken Persönlichkeiten, Anführer und Haudegen, die ihre Zeit, zumindest aber ihre Mannschaft und deren Spielweise, geprägt haben. Und heute? Heute beschleicht uns mehr und mehr der Gedanke, dass die Gilde der großen Führungsspieler eine aussterbende ist. Emotionslos, glatt, brav, langweilig – diese Attribute fallen uns ein, wenn wir den Großteil der Bundesligaspieler und insbesondere die deutschen Nationalspieler bewerten. Bezeichnend für die neue Phalanx der Langeweile ist deren Auftreten in den Medien: Die aktuellen deutschen Ikonen wie Neuer, Lahm oder Schweinsteiger treten vor die Mikrofone wie die abgebrühtesten Diplomaten, je nach aktuellem Tabellenrang oder Spielergebnis lächelnd oder mit betroffenem Gesichtsausdruck, ergehen sich ein paar Momente in allgemeinen Floskeln, verschwinden und sind samt ihrer Worte umgehend wieder vergessen.

Foto: Udo M.
Wo sind also eben diese früheren Helden hin, all die Spackos, die munter drauflosplaudern, auf und neben dem Platz ihre Meinung sagen und sich nicht um eventuelle Konsequenzen scheren? In den vergangenen Jahren hat es diese zweifellos in verschiedenen Ausprägungen immer wieder gegeben. Natürlich mag man zu jedem Spieler stehen, wie man will. Wenn etwa Uli Stein den Kaiser als Suppenkasper bezeichnet und aus der DFB-Elf geworfen wird, dann ist das zugegebenermaßen nicht vorbildlich und auch nicht leistungsfördernd. Gleiches gilt für Effenbergs erigierten Mittelfinger. Aber eins sind derartige Stories auf jeden Fall, Skandal hin oder her: Sie sind authentisch und unterhaltsam. Und es sind nicht nur die großen Sprüche, die uns mittlerweile abgehen. Wenn selbst der Friese Dieter Eilts, nicht unbedingt für staatstragende Reden bekannt, dereinst auf eine verklausulierte und mit Konjunktiven überladene Journalistenfrage mit dem Gegenargument antwortete, dass seine Oma, wenn sie ein Bus wäre, hupen könne, dann war das großes Kino – von einem Lars Bender wird man derartiges jedoch nicht hören. Oder ein Mario Basler, der nach Spielschluss in Bezug auf den verantwortlichen Pfeifenmann Kemmling äußert, dieser „müsste heute normalerweise richtig auf die Fresse kriegen“. Letztere Aussage ist ehrlich, mutig - und wird einem heutigen Bundesligastar ebenfalls kaum noch unterlaufen. Für die große Unterhaltung wird weniger denn je der verbale Angriffsfußball verantwortlich sein, hier muss die Journaille auf der Suche nach Spielern mit Profil auf den einen oder anderen Stolperer hoffen, der den dauerüberwachten Zöglingen im echten Leben passiert.

Aber auch hier gilt: Kann man sich einen Holger Badstuber vorstellen, der wie einst St. Paulis Carsten Pröpper betrunken in die Hotellobby pinkelt? Oder Tim Wiese und André Schürrle als Schlägertrupp Basler/Scheuer in einer Pizzeria? Okay, Wiese schon. Aber Schürrle als Prototyp der neuen Generation A wie aalglatt hat im Zweifel noch nie eine Pizzeria von innen gesehen – nicht der Marke „Schürrle“ dienlich, zu ungesund, zu verrucht. Ein Glücksfall boulevardesker Natur, wie ihn der ansonsten eher biedere Gladbacher Torwächter Dariusz Kampa 2005 lieferte, indem er sich vor Journalisten und Kollegen medienwirksam in der Lobby des Mannschaftshotels übergeben musste, wird wohl einmalig bleiben. Die heutige Spielergeneration besäuft sich nicht öffentlich, sondern spielt gemeinsam Tischtennis und trägt dazu als neuzeitliche Hasenpfote einheitliche Energiearmbänder zur Schau. Boatengs kurzfristiger Ausrutscher auf einen vollbusigen C-Promi ist da schon das Höchste der Gefühle. Vermutlich ist es dem Mangel an Alternativen auf seiner Position zu verdanken, dass ihn dieser medial begleitete Fauxpas nicht den Adler gekostet hat.

Aber wie konnte es soweit kommen? Wenn Jogi mit akkurat gefalteten Strenesse-Ärmeln zum großen DFB-Casting läutet, dann wissen die nervösen Teenager, was die Jury von ihnen erwartet. Und die Jungs, die nicht direkt eine Runde weiterkommen, wollen so werden wie die turnusmäßig gekürten Superstars. Starke Charaktere, die sich nicht unterordnen können oder wollen, werden ignoriert bzw. ausgemerzt. Die unrühmliche Ausbootung des Capitanos, zweifellos durch die eigene Verletzung und starke Nachrücker gefördert, war bezeichnend für die Idee Löws und sein Ideal einer neuen Fußballergeneration. Ein Kuranyi, ein Helmes, inzwischen auch ein Wiese, sie alle genügen offenbar nicht eben diesen Löw'schen Ansprüchen der biederen Zurückhaltung.

Domestizieren nennt man es in der Tierwelt, aus wilden Bestien brave Haustiere zu machen. Jogis Jungs sind dabei die Speerspitze im modernen deutschen Fußball, dessen Anforderungsprofil an einen (jungen) Ligaspieler heute ein in vielen Bereichen gänzlich anderes ist als noch vor wenigen Jahren. Bezeichnend ist hier der Umgang mit bzw. in der Öffentlichkeit. Die Spieler sind nicht nur in einer anderen medialen Umwelt groß geworden, sondern werden sehr früh durch Berater und insbesondere die Presseabteilungen der Clubs geschult, eingenordet und gedrillt, wie sie sich im Kontakt mit der Presse zu verhalten haben. Und das Bemerkenswerte daran: Die Spieler gehen heute darauf ein.

Das war früher anders - noch vor zehn Jahren sind die großen Sportmedien wie Kicker und Sport-Bild, natürlich auch die Bild selbst, auf eine gänzlich andere Resonanz innerhalb der Spielerschaft gestoßen, haben dabei Vereinsinteresse und Pressesprecher einfach ignoriert. Die Journalisten hatten nicht nur die Handynummern aller Spieler, sondern konnten sich ohne Wissen des Vereins mit Spielern verabreden, Interviews durchführen und direkt veröffentlichen. Das Bedauern der Pressesprecher des HSV, der Hertha und von Werder Bremen war unüberhörbar, der Situation standen die Clubs allerdings machtlos gegenüber. Ähnliches fatalistisches Lamento gab es von Vereinsseite mit Blick auf die O-Töne der Spieler, die sich unqualifiziert äußerten, sich selbst und den Verein teilweise bloßstellten und damit immer wieder Ärger im Paradies heraufbeschwörten. Aber Medientrainings für Spieler? Heute Gang und Gäbe, vor zehn Jahren in einzelnen Vereinen undenkbar, von der damaligen Spielergeneration belächelt und ignoriert.

Gerade die Boulevardmedien, selbst wenn zum Teil Agreements bestanden, Privatangelegenheiten der Spieler, die nach 22 Uhr vorfielen, nicht zu veröffentlichen, haben den direkten Spielerkontakt gepflegt und perfektioniert, sehr zum Missfallen der Clubverantwortlichen. Wenn Benno Möhlmann früher das Trainingsgelände des HSV verschloss und dann beleidigt mit einer großen Anzahl Journalisten nicht mehr redete, andernorts Stadionverbote für einzelne Pressevertreter erteilt wurden und Bild-Fotografen 50 Meter Abstand zum Trainingsplatz halten mussten, dann zeugte das von einem insgesamt angespannten Verhältnis.



Inzwischen aber hat sich die Situation derart gewandelt, dass selbst zweitklassige Nachwuchskicker sehr wohl überlegen, wie sie sich Medienvertretern gegenüber verhalten und welche unverfänglichen Aussagen sie in Interviews treffen dürfen.

Bei dieser Entwicklung bleibt zweifellos eine Menge Unterhaltungswert auf der Strecke, und so verwundert es kaum, dass Deutschlands Medien nach Leitwölfen schreien, die auf und neben dem Platz den Ton angeben. Ist die gesamte Diskussion also vielleicht eine inszenierte, die den wahren Wert der Alphamännchen für die Mannschaft überinterpretiert? Vielleicht ja. Denn Führungsqualitäten im Fussball kann man auch über spielerische Klasse transportieren, insbesondere wenn das Spielsystem im Vordergrund steht. Der FC Barcelona oder die spanische Nationalelf machen es vor, auch bei Zidane und bei Messi genügt(e) die Leistung auf dem Spielfeld, was zählt ist schließlich „auf‘m Platz“. Diese Perspektive ist bei Ausnahmekönnern ihres Fachs sicher richtig und nachvollziehbar, insgesamt allerdings doch etwas romantisch. Denn so emotionslos und brav, wie sich die deutschen Jungs außerhalb des Spielfeldes gebärden, so wenig ecken sie oftmals auch auf dem Rasen an. Offenbar verhält es sich so, dass aktuell in Deutschland nur der, der sich grundsätzlich traut, den Mund aufzumachen und den eigenen Standpunkt offensiv zu vertreten, vorangehen und führen kann - und als Führungsspieler anerkannt und medial als solcher positioniert wird. Und ganz ehrlich, mehr Spass machen Fußballer mit einer großen Klappe doch auch.

Deshalb nährt ein Motzki Sammer, lebender Gegenentwurf zu Löw, die Hoffnung der schreibenden Zunft und der Fans, die allesamt nach Geschichten und Typen lechzen. Der haarlose Feuerkopf hat schon in Jugendnationalmannschaften bewusst Hierarchien aufgebaut und die Spieler nach kreativen Individualisten, Führungs- und Mannschaftsspielern unterteilt und zusammengestellt. Da sind wir doch ganz besonders gespannt, welche neuen bajuwarischen Häuptlinge die nächsten 50 Jahre Bundesliga dominieren wollen. Schau'n mer mal.

Udo M. (Jahrgang 1977, bekennender Werder-Fan) hat 2003 seine Abschlussarbeit an der Ruhr-Universität Bochum zum Verhältnis zwischen PR und Journalismus im Spannungsfeld der Fußballbundesliga geschrieben, indem er u.a. mit Pressesprechern verschiedener Bundesligaclubs und Sportjournalisten der Fußball-Leitmedien Interviews führte.

4 Kommentare:

Bjørn hat gesagt…

Bajuwarischen Häuptlinge. Da frage ich mich, wie wohl in fünf Jahren der nicht mehr allzu zu junge Thomas Müller durch die Gegend gestikulieren wird...

heinzkamke hat gesagt…

Stefan Kießling, das alte Alphatier, hat Thorsten Kinhöfer am Wochenende ins Stammbuch geschrieben, seine Leistung in der zweiten Halbzeit sei eine "absolute Frechheit" gewesen. Fast wie Basler, ne? ,)

Udo M. hat gesagt…

Schön, dass es das ab und an doch noch gibt. Aber wenn man ohnehin vom Bundesjogi aussortiert wurde, kann man vieleicht auch befreiter den Mund aufmachen ...

heinzkamke hat gesagt…

Hehe, guter Punkt.

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