Mittwoch, 29. August 2012

Wohnen im Mittelkreis

Themenwoche „50 Jahre Bundesliga“, Teil 5.  Was macht eigentlich... der Bökelberg? Bei Google Maps gibt es ihn noch. Dabei ist eines der geschichtsträchtigsten Stadien der Bundesliga seit mehr als sechs Jahren verschwunden. Gladbach-Edelblogger, Buchautor und Journalist Jannik Sorgatz berichtet über einen Besuch voller nostalgischer Gefühle.
 
Früher hatten Borussias Gegner hier reihenweise Scheiße am Fuß. Heutzutage muss man als Spaziergänger am Bökelberg wahnsinnig aufpassen, dass man nicht selbst in Scheiße tritt. Mönchengladbachs Hundebesitzer lassen anscheinend den nötigen Respekt vermissen. Dabei gehen sie an einem der heiligsten Fußball-Orte Deutschlands Gassi.

Wer noch nie vom Bökelberg gehört hat, wird den Wall der alten Haupttribüne sowie die Reste von Nord- und Südkurve für naturgegeben halten. Bei mir weckt dieser Besuch an einem heißen Sommertag mehr als nur nostalgische Gefühle. Da ist zwar die Gewissheit, dass Bundesligafußball an diesem Ort im Jahr 2012 nicht mehr zeitgemäß wäre. Aber am Bökelberg fing alles an. Wenn der Bökelberg nicht gleich diese Faszination auf mich ausgeübt hätte, wäre ich vielleicht nie so tief in diese Sache hineingerutscht, dass ich meiner Mannschaft nun bis in die Ukraine hinterherreise (oder auch: hinterherreisen darf).

Foto: J. Sorgatz
Was früher die Haupttribüne war, sieht heute nicht anders aus als eine grasbewachsene Düne an der Nordsee. Ich setze mich ein wenig ins Gras, genau an der Stelle, an der ich am 6. September 1996 saß: Mein erster Besuch auf dem Bökelberg, mit sieben Jahren, ein 3:0 gegen den Hamburger SV an einem Freitagabend, Flutlicht. Das muss Nick Hornby gemeint haben, als er über das Verlieben, über die Frauen und den Schmerz schrieb.

 16 Jahre später ist es verdammt still "In de Kull", wie der Weg mittlerweile heißt, der von der Bökelstraße in Richtung Mittelkreis führt. In einem der Häuser kreischt zwar eine Kreissäge, aber das ist ja nichts gegen einen Wechselgesang zwischen Nordkurve und Ostgerade am Samstagnachmittag. Mit neun Jahren war ich groß genug für den ersten Besuch auf der Stehplatztribüne. Wahrscheinlich habe ich bei jenem 5:2 gegen den VfL Wolfsburg zum ersten Mal einen Joint gerochen, ohne zu wissen, was ein Joint ist. Gras, Bier, Schweiß und Moos – das war der Duft des Bökelbergs.

Foto: F. Sorgatz
Mein größtes Spiel war wahrscheinlich ein 5:2 gegen Hansa Rostock, als die Borussia 1998 ihr bis dato größtes Nichtabstiegswunder in die Wege leitete. Im Vergleich zu dem, was dieses Stadion sonst so erlebt hat, war das natürlich ein Witz. Aber der Bökelberg war bescheiden genug, um auch ein 6:1 gegen Mainz 05 in der 2. Bundesliga wie etwas ganz Großes erscheinen zu lassen.

Bis Gladbach in der Saison 2011/2012 sensationell den Sprung auf Platz vier geschafft hat, habe ich die 70er-Jahre sogar als Belastung empfunden. Jetzt haben die Erzählungen aus den glorreichen Zeiten keinen mahnenden Unterton mehr. Ich kann sie einfach genießen.

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis die Grundstücksverkäufe am alten Bökelberg richtig anliefen. Früher schon war diese Gegend in Mönchengladbach-Eicken ein feines Wohngebiet. Es pilgerten lediglich alle zwei Wochen bis zu 34.500 Fußballfans durch die Vorgärten. Die Ex-Borussen Eugen Polanski, Tobias Levels und Johannes van den Bergh haben hier gebaut. Wobei man mit Fug und Recht sagen kann, dass solch ein Immobilienkauf das "Ex-" schnell verschwinden lässt. Wer an den Bökelberg zieht, der ist immer noch Borusse.

Foto: J. Sorgatz
Wahrscheinlich werde ich mir nie ein Grundstück "In de Kull" oder "Auf dem Bökelberg" leisten können. Dabei sind allein diese beiden Straßennamen eine Überlegung wert, sich in Unkosten zu stürzen. Und im Garten würde ich einen Miniatur-Flutlichtmasten aufstellen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ein Pilgerort für nostalgische Gladbach-Fans scheint der alte Bökelberg seit 2004 jedoch nicht geworden zu sein. Jeder trägt die Erinnerungen lieber in sich, kramt sie sowohl in guten wie in schlechten Zeiten hervor. Nicht viele Stadien haben Bundesliga-Meisterschaften und einen Aufstieg in nahezu demselben Zustand erlebt. Und so erzählt man sich weiter die Geschichten vom Pfostenbruch und vom Büchsenwurf, denen in jedem Fußball-Museum üppiger Raum zugestanden würde.

Foto: J. Sorgatz
Natürlich darf auch nicht die letzte Geschichte fehlen, die der Bökelberg am Tag seiner Sprengung geschrieben hat: Die Haupttribüne sollte fallen, aber sie fiel nicht im ersten Versuch – der Mythos hat sich gewehrt. Jahre später sitze ich nun im Gras, schaue auf einen der Baukräne. Ein Häuslebauer hat sich Grundstück in Nähe des Mittelkreises gesichert. Ich hoffe, er weiß es zu schätzen.

Jannik Sorgatz parliert ansonsten in seinem famosen Blog "Entscheidend is auf'm Platz" über Favre und seine Fohlen. Borussen-Fans geht überdies das Herz auf, wenn sie Jannik Sorgatz  2. Buch Gegen Gladbach kann man mal verlier’n” nicht mehr aus den Händen legen können.

2 Kommentare:

heinzkamke hat gesagt…

Natürlich ist es ein Unding, sich selbst einzuladen, aber ich geb' zu, ich würd' Dich gerne mal besuchen, wenn da so ein Miniaturmast im Garten steht ...

Carsten hat gesagt…

Irgendwie traurig, dass optisch so wenig an die Bedeutung dieses Ortes erinnert wird, wenn ich die Fotos so sehe. Wobei der Ort selber ja nie ein anderer werden kann als der Bökelberg.

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